Märkische Allgemeine – Frank Kallensee


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Märkische Allgemeine 12.10.99
(Buchmessenbeilage, S. 6/7, Oktober 1999)

Jesus Christus belebt die Fantasie
Vielleicht war der Sohn von Maria und Josef nie aktiv. Aber das Christentum existiert seit 2000 Jahren.

FRANK KALLENSEE

Jesus überlebt. Keiner seiner Attentäter konnte ihm in den vergangenen 2000 Jahren bleibende Schäden zufügen: Weder der Römer Pontius Pilatus, der es mit einer Kreuzigung versucht hatte, noch der Materialist Karl Marx, dem das himmlische Elternhaus von Jesus so suspekt war, daß er lieber Geschichten über dubiose Paradiese auf Erden kolportierte. Bis heute können dem Zimmermann aus Nazareth, der im Nebenberuf als Messias jobbte, menschliche Anschläge wenig anhaben. Einer seines Formats hält sogar Groopies wie Papst Johannes Paul II. aus, einen wie ihn kriegt niemand tot. Nicht mal Rudolf Augstein.
Obwohl der „Spiegel“-Herausgeber und Freizeit-Bibelforscher kundtut, dass Jesus nie existiert habe und lediglich eine Kunstfigur der Evangelisten Markus, Matthäus, Lukas, Johannes sei. Die Karriere zum Namenspatron einer Weltreligion verdanke der von ihnen beschriebene Sandalenträger allein der Erfindungsgabe des Diaspora-Juden Saulus, der als Apostel Paulus die Eckdaten des neuen Glaubens festschrieb. Mit einer ausgedehnten Korrespondenz und persönlichem Missionarischen Einsatz habe dieser aus besagtem Jesus den sagenhaften Jesus Christus gemacht.
Nur Augstein will partout nicht merken, daß er mitbastelt.
[…]
Welche Konsequenzen Augsteins Überlegungen nach sich ziehen, liegt auf der Hand: Keine Krippe in Betlehem, keine Predigt vom Berge, keine Auferstehung aus dem Grab, nichts davon ist je passiert. Mit diesen Ansichten könnte der mit seinem Willen zur Aufklärung geplagte Publizist durchaus breite Schneisen ins Legendengestrüpp hauen – wenn es die nicht schon gäbe. Über den Anstrengungen seiner Entmythologisierungsarbeit scheint ihm vollkommen entgangen zu sein, dass er lediglich eine olle Kamelle der kritischen Exegese hervorgewürgt hat. Die simple Frage, ob Jesus tatsächlich gelebt hat und wer er wirklich war, ist gegenwärtig keine Frage des Wissens mehr, sondern längst zu einer des Glaubens erklärt worden. Es gilt die Devise: Do it yourself! Jesus zum Selbstbasteln.

Aber vielleicht war alles sowieso ganz anders. Vielleicht war Jesus einfach Caesar, der Divus Julius, das göttliche Alter Ego des Oberrömers? Mit den 500 Seiten Begründung seiner steilen These hat Francesco Carotta die anregendste Jesus-Veröffentlichung der Saison verfasst. Der Linguist ist überzeugt, dass antike Berichte über das Leben Caesars Vorlage für die Autoren der Evangelien waren. Aus Gallia wurde Galilaea. Sicher ist immerhin, dass die Parallelen in den Texten über Jesus Christus und Julius Caesar schwerlich Zufall sein dürften. Als Bastler hat Carotta jedenfalls Geschick bewiesen. Und Jesus überlebt auch das.

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NOTA BENE: Der Rezensent hat in dieser seiner Sammelbesprechung Argumente aus War Jesus Caesar? übernommen und sie insbesondere gegen Augstein (Jesus Menschensohn, überarbeitete Ausgabe des Erfolgstitels früherer Jahre (1972)) gewendet. Der aufmerksame Leser wird gemerkt haben, dass viele Ausdrücke der Augstein-Kritik von unserem Buch stammen, sogar wortwörtlich, insbesondere aus S. 136 und Anm. 270 S. 427 f., sowie S. 163–164. Die allgemeine Einstellung des Rezensenten, erkennbar unter anderem im Vorspann – «… aber das Christentum existiert seit 2000 Jahren» – sowie im Abschluß – «… und Jesus überlebt auch das» – gibt indes den Tenor von Erika Simons Nachwort wieder.

Es ist daher eine große Freude, zu sehen, daß hier nicht nur dieses Buch als einziges nicht verrissen wurde, sondern auch, daß es stichhaltige Argumente geliefert hat für die Kritik all jener, die sich von der traditionellen, bekanntlich gescheiterten Leben-Jesu-Forschung, immer noch nicht trennen wollen.


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