War Jesus Caesar? – Vorwort 2


Nachfolgend finden Sie das Vorwort zur holländischen Ausgabe
© 2002, Francesco Carotta, Kirchzarten


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Introitus

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Dies ist ein Forschungsbericht. Jedoch so geschrieben, daß jeder Laie ihn leicht lesen kann.

Den ersten Anstoß bekam diese Forschung in den 80ern Jahren durch die Lektüre vom 1959 geschriebenen Artikel von R. Herbig, «Neue Studien zur Ikonographie des Gaius Iulius Caesar». Es fiel beim Lesen auf, daß die Bilder Caesars nicht dem Bild entsprechen, das wir von ihm im Kopf haben. Entscheidend war der Anblick vom Caesar Torlonia (cf. Abb. 8, 10, 12, 17) und was Erika Simon darüber schrieb, nämlich, daß es der Kopf der Statue sein dürfte, die Antonius nach Caesars Ermordung auf die Rostra hatte aufstellen lassen, mit der Inschrift «Parenti optime merito – dem bestverdienten Gebärer», und die im Betrachter Mitleids- und Rachegefühle zugleich erwecken sollte. In Funktion und Ausdruck ein Pietà-Gesicht also. Und da Pietà-Darstellungen typisch für Jesus Christus sind, und nicht für Julius Caesar, entstand die Frage, ob nun der spätere Jesus auch andere Elemente vom früheren Caesar übernommen hätte. Verblüffend war festzustellen, daß es so gut wie alles ist, daß sogar die Lebensberichte parallel verlaufen, daß die sich entsprechenden Personen und Orte Namen tragen, die miteinander verwechselbar sind – Gallia/Galiläa, Corfinium/Cafarnaum, Junius/Judas, etc. – so daß sich die Erkenntnis aufdrängt, daß es sich um eine und dieselbe Geschichte handelt. Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Jesus erweist sich als der historisch tradierte Divus Iulius, der vergöttlichte Caesar.

Diese Erkenntnis ist nicht ganz neu. Bereits in den 50ern Jahren hatte der deutsche Theologe Ethelbert Stauffer festgestellt, daß die Osterliturgie nicht dem Evangelium folgt, sondern dem Beisetzungsritual Caesars. Und inzwischen ist auch Nicht-Theologen aufgefallen, so dem Australier Gary Courtney, daß die Passionsberichte beider sich ähneln. Neu ist lediglich der Beweis, der hier erbracht wird, daß das ganze Evangelium eine mutierte Geschichte des römischen Bürgerkriegs ist, vom Rubicon bis zur Ermordung und Beisetzung Caesars, d.h. vom Jordan bis zur «Gefangennahme» und «Kreuzigung» Jesu. Die Grundlage des Evangelium Marci ist in den Historiae des Asinius Pollio zu suchen. Historiae, die zwar verschollen sind, jedoch von Appian und Plutarch benutzt wurden, streckenweise wörtlich abgeschrieben, was den Vergleich mit dem Markusevangelium ermöglicht.

In unserer Untersuchung –, die über 10 Jahre dauerte: Der Autor war damals Unternehmer in der Informatikbranche und Buchverleger, sodaß sie zuerst nur nebenbei betrieben werden konnte – sind wir manche Wege, Umwege und Holzwege gegangen, aufgrund allgemeiner Annahmen, die sich als irreführend erwiesen, so zum Beispiel die communis opinio, Jesus habe selbst nichts geschrieben und das Evangelium sei lange gepredigt worden bevor man es aufschrieb. Dies verleitete uns dazu, mündliche Flüsterposteffekte anzunehmen, die sich als nicht stichhaltig erwiesen: Die Fehler und Verformungen in der Tradierung fanden im Kopier- und Übersetzungsprozeß statt, also vielmehr in der schriftlichen als in der mündlichen Übertragung. Diese Wege und Umwege sind teilweise im vorliegenden Text noch erkennbar. Dies soll den Leser nicht irritieren, sondern ihm die Möglichkeit geben, die Untersuchung mitunter in ihrem Werden zu verfolgen.

Da wo es möglich und angebracht war, haben wir uns auf die Ergebnisse der Arbeit anderer gestützt, um das Rad nicht neu zu erfinden. Naive oder bigotte Leser, die Interpolationen aus ekklesiastischer Hand in den klassischen Texten, wie etwa das sogenannte Testimonium Flavianum oder angebliche Christus-Erwähnungen bei Tacitus oder Sueton unwissentlich oder wider besseres Wissen immer noch für bare Münze nehmen, sind bei uns an der falschen Adresse: Wir kämpfen nicht gegen Windmühlen. Aber auch angeblich fortschrittliche Menschen, die meinen zu wissen, daß das Evangelium ein erfundenes Märchen sei, werden eines Besseren belehrt: Es ist, wenn auch naiv verformt und verkleidet, wahre Geschichte – wie die Kirche es immer behauptet hat. Wir bitten daher den Leser, diesen Text entweder vorurteilslos zu lesen – oder es ganz zu lassen.

Der Leser mag sich fragen, warum, wenn die hier dargestellte Aufdeckung stichhaltig ist, sie sich nicht wie ein Steppenbrand ausbreitet, warum nicht alle Welt davon spricht. Darüber wurde und wird diskutiert, mitunter auch auf unserer Website (www.carotta.de). Die Gründe, die dafür ausgemacht wurden, sind hauptsächlich zwei.

Der erste ist, daß kaum jemand sich traut, für eine Theorie einzutreten, für die er/sie nicht ganz kompetent ist. Aufgrund der heutigen Spezialisierung des Wissens, ist kaum jemand zu finden, der zugleich sich bei Caesar und bei Jesus auskennt, in all den berührten historischen, archäologischen, textkritischen, philologischen, linguistischen und methodologischen Fragen bewandert, der logisch geschult ist und Latein wie Griechisch oder Aramäisch kennt, etc. So kommt so gut wie jeder redliche Kritiker an den Punkt, wo er sagt, soweit ich überblicken kann, ist es in Ordnung, ich kann aber für die anderen involvierten Wissensgebiete nicht sprechen. Das gibt natürlich den Unredlichen Gelegenheit, so zu tun, als ob sie besser wüßten und alles auf schwachen Füßen stünde – was den in historischen wie in religiösen Fragen übervorsichtigen Entscheidungsträgern in den Medien ein Alibi liefert, um das heiße Eisen nicht anzufassen, und es anderen zu überlassen.

Der zweite Grund ist, daß diese Aufdeckung einen Paradigmawechsel verlangt: weg vom Geozentrismus hin zum Heliozentrismus, weg von der angeblichen Zentralität des sogenannten Heiligen Landes, hin zu jener des heute gerne vergessenen römischen Imperiums. Dieser «Konversion» steht zu viel im Wege. Man müßte zugeben, daß die Christenheit schon früh einer Täuschung erlegen ist, daß die Geschichte der Täuschungen, die ad maiorem Dei gloriam – d.h. im Interesse der jeweiligen aufeinanderfolgenden Machthaber – sukzessive vorgenommen wurden, nicht erst mit der erfundenen Konstantinischen Schenkung angefangen haben, sondern viel früher, schon von Anfang an. Daß die Reliquien, die man der Kaisermutter Helena untergejubelt hat, von einem gescheiten Antiquitätentrödler stammten, der verstand, daß die Nachfrage das Angebot schafft. Daß die Kreuzzüge unternommen wurden, um ein heiliges Grab zu befreien, das dort in Jerusalem nie stand, während man zugleich das echte in Rom als heidnische Reliquie zerstörte. Daß Caesar inkognito in Kirchen, Tempeln und Moscheen der ganzen Welt verehrt wird, und daß der umstrittene Diktator das residuelle religiös-moralische Rückgrat der Ökumene, d.h. unseres globalen Gemeinwesens bildet. Starker Tobak. Verständlich, daß mancher hofft, dieser Kelch möge an ihm vorbeiziehen, und daß es wieder Priester gibt, diesmal die Medienpriester, die sich weigern in Galileis Teleskop zu schauen.

Man könnte einen dritten Grund anführen. Diese Forschung gehört vom Ansatz her zur Tradition der Aufklärung. Sie reiht sich ein in die lange Kette, die von Laurentius Valla – Entlarvung der Konstantinischen Schenkung als Fälschung – über Voltaire – Gott hat den Menschen nach seinem Abbild geschaffen, aber der Mensch hat es ihm gut zurückgegeben – bis Bruno Bauer – der Urevangelist ist im römischen Griechentum zu suchen – geht. Aber im Endergebnis gibt sie paradoxerweise der Kirche recht, die immer behauptet hat, daß die Evangelien eine wahre Geschichte wiedergeben. Die Verlagerung des Geschehens von Rom nach Jerusalem ist eine kleinere Fälschung als wenn das Ganze erfunden worden wäre. Dadurch drohen dieser Aufdeckung ihre natürlichen Verbündeten zu entgehen, die sich jetzt sagen, wir haben doch nicht jahrhundertelang gegen den ekklesiastischen Obskurantismus gekämpft, um jetzt den Kaiser als Gott zu ernten, wir hatten es fast geschafft, Jesus als reinen Mythos darzustellen, und nun kehrt er historisch reell, ja lebendig zurück. Nur über unsere Leiche! (womit sie unsere, nicht ihre meinen).

Diese Forschung entspricht zwar auch der protestantischen Forderung nach freier Prüfung der Schrift, der wir u.a. die Leben-Jesu-Forschung verdanken, die obwohl nach eigenem Bekenntnis gescheitert, gleichwohl falsche bzw. naive Vorstellungen in die Schranken gewiesen hat. Aber im Endergebnis zeigt sie doch, daß die Schrift noch weniger verläßlich ist als die Tradition, die mehr vom Divus-Iulius-Kult erhalten hat, und somit unverfälschter ist. Schwerer noch, es stellt sich heraus, daß Jesus, alias Divus Iulius, Pontifex maximus war, d.h. zu Lebzeiten selbst das Amt des heutigen römischen Papstes kleidete, den die Protestanten nicht anerkennen. Schon dadurch drohen auch die anderen möglichen, innerkirchlichen Verbündeten abhanden zu kommen. Und es wird wenig helfen, zu bedenken zu geben, daß Caesar zwar ein Römer war, der aber Krieg gegen das alte Rom führte um eine neue Ordnung herbeizuführen.

Daß dafür auf der anderen Front Verbündete erwachsen könnten, ist kaum wahrscheinlich, obwohl theoretisch möglich. Die Traditionalisten sind nämlich längst am Ende ihres Lateins, und fangen unlängst sogar an, es zu gestehen. Selbst Ratzinger, grimmiger defensor fidei im Vatikan, hat neulich zugegeben, daß das größte Hindernis zur Verbreitung des Glaubens heute sei, daß die historische Existenz Jesu nicht mehr glaubhaft zu machen ist. Verständlich, denn wenn mangels historischen Jesu das einzig faßbare Ereignis nicht mehr die Auferstehung ist, sondern lediglich der Glaube der Urgemeinde an die Auferstehung, wo bleibt dann Ostern? Und wie soll ein leeres Grab noch etwas bedeuten, wenn jener, der dort zu liegen hätte, nie existierte? Die in dieser Welt erfolgten Tod und Auferstehung Gottes werden zum reinen Symbol reduziert, und drohen aus der Welt geschaffen zu werden. Samt Kirche. Nun aber, mit Jesus als Divus Iulius, als vergöttlichter Caesar, wird keiner mehr behaupten können, er sei historisch nicht existent gewesen, denn eine reellere und faßbarere historische Präsenz hat wohl keiner unter den Sterblichen und den Unsterblichen je gehabt. Die Gläubigen hätten eigentlich Grund zu frohlocken, ja zu triumphieren. Aber man kann bekanntlich niemanden zu seinem Glück verhelfen. Und die Angste, die mit der entlarvten historischen Täuschung einhergehen, werden bei den meisten wohlmeinenden Rechtgläubigen tiefer sitzen. So werden auch aus diesem Lager die unverhofften Verbündeten keine Scharen sein.

Ein vierter Grund liegt endlich darin, daß wie jede Lösung eines Rätsels, auch diese enttäuschend wirkt. Als Ent-Täuschung ist auch diese Aufdeckung mitunter einfach enttäuschend. Der Charme des Mythos ist dahin, das Märchen ist ausgeträumt, das Erwachen ist ernüchternd, man möchte noch ein bißchen nachträumen. Dracula hört auf zu faszinieren, wenn man weiß, daß dahinter der rumänische Fürst Vlad Tepes Draculea steckt. Die Hieroglyphen waren viel interessanter vor Champollion, als man sie in den Salons noch allegorisch deuten konnte. Und Galilei macht viel weniger Spaß als Däniken. So, während die Archäologin Erika Simon nicht zögerte, als gläubige Katholikin das Nachwort zu diesem Buch zu schreiben und mit ihrem guten Namen dazu zu stehen, möchten selbsternannte Hüter der fabulierenden Orthodoxie, «den Leuten ihren Jesus nicht wegnehmen» (O-Ton der Religionsabteilung, die bei einer Fernsehanstalt ihr Veto gegen einen Dokumentarfilm über diese Forschung einlegte) – zumal wenn sie selbst davon leben, mitunter märchenhaft. Dabei ist es das schönste aller Märchen, daß Caesar, aus der Welt geschaffen, postum und inkognito unseren religiösen Traum bewohnen konnte, wahrer incubo der Welt.

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Die Fragestellung – War Jesus Caesar? – mag befremden. Dies hat weniger mit der Frage selbst zu tun, als mit dem jeweiligen Bild von Caesar und von Jesus, das wir im Kopf haben. Diese Bilder, als jene der hervorragendsten Persönlichkeiten des Weltpantheons, waren schon immer weniger von ihrer Geschichte als vom Mythos geprägt, und sind auch heute mehr vom Zeitgeist als vom objektiven Wissen abhängig. Caesar ist in unseren Köpfen ein knallharter römischer Feldherr – wer denkt bei ihm noch an seine sprichwörtliche Clementia, an sein Erbarmen für die Feinde? – während Jesus ein friedfertiger Wanderprediger sein soll – sein «Ich bin nicht gekommen den Frieden zu bringen, sondern das Schwert» schreibt man inzwischen eher dem Propheten Mohammed zu.

Die Sehnsucht nach einer friedlichen Welt hat zur polarisierten Verzerrung beider Bilder geführt. Welche so selbstverständlich geworden sind, daß keiner sie überprüft.

Caesar kennt man kaum mehr aus der Schule, sondern nur noch aus Historienfilmen und Comic-Heften. Man wirft ihm anscheinend vor, der Vater aller Diktaturen zu sein. Da man ihm aber leider nichts «hitlerianisches» oder «stalinistisches» ankreiden kann, versucht man ihn wenigstens wegzublenden: Eine neulich in Deutschland erschienene kleine Geschichte der Antike widmet ihm nicht nur kein Kapitel, sondern nicht einmal einen Absatz, und erwähnt ihn beiläufig neben Cicero. Keine nach dem zweiten Weltkrieg erschienene Biographie Caesars berichtet von seiner Beisetzung: Sie enden allesamt mit seiner Ermordung, so daß Autoren und Leser sich ungehemmt dem Rausch des vermeintlichen Tyrannenmordes hingeben können – und sie nicht in die Verlegenheit kommen, den Aufstand des Volkes gegen seine Mörder und seine Apotheose erwähnen und vor allem erklären zu müssen. Obwohl es eine gute Frage wäre, ob die Beisetzung eines Menschen nicht zu seiner Lebensgeschichte gehört. So läßt man ihn lieber unbestattet, als daß man sich mit dem Dämon seiner Auferstehung auseinandersetzt. Caesar Feldherr, Caesar Diktator: ja; Caesar Pontifex maximus, Caesar Sohn der Venus, Caesar selbst Gott: nein.

Umgekehrt bei Jesus. Ihn kennt auch keiner mehr. Wer liest noch das Evangelium? Aber die Sehnsucht nach der Urkirche und dem Urchristentum lassen von ihm nur noch Idealbilder zu, das Jesuanische, rein und unschuldig, in Opposition zum in der Geschichte korrumpierten Christlichen. Dies umsomehr als Jahrhunderte von Textkritik und Leben-Jesu-Forschung sogar seine historische Existenz in Frage gestellt haben, so daß ein jeder sich sein eigenes Jesusbild freier und ungehemmter formen kann: Wenn er nicht existiert hat, dann kann er doch alles gewesen sein, und vor allem alles werden. Exorzist, Widerstandskämpfer, Gewerkschaftler, Nationalheld, Feminist, Schwule, Neger, Jude – alles darf und muß er sein. Nur eben kein Diktator und kein Römer. Er darf doch nicht aus dem Reich des Bösen kommen, und am aller wenigsten es gegründet haben! Obwohl jeder weiß, daß das Christentum sich innerhalb der Grenzen des römischen Reiches ausgebreitet hat, unter Römern, und daß das Oberhaupt der Christenheit heute noch in Rom sitzt.

Nun also stellen die Bilder, die wir mehr oder weniger unbewußt in unserem Kopf haben, das Haupthindernis für die Fragestellung: War Jesus Caesar? Wir werden sehen, daß der Ist- vom Soll-Bestand auch bei dieser Bilanz erheblich abweicht. Jesus und Caesar haben mehr Gemeinsamkeiten, als man sich denken kann. Nicht von ungefähr haben beide die Welt in Sandalen erobert.

Das zweite, das man wissen muß, ist, daß hier keine Religionsfrage debattiert wird, sondern lediglich eine religionshistorische. Es steht nicht der Glaube an Jesus zur Diskussion, sondern nur, wer der historische Jesus gewesen ist.

Nun mag der gläubige Christ wie der ungläubige Atheist der Meinung sein, es sei klar, wer Jesus gewesen, bzw. nicht gewesen sei, an den er/sie glaubt bzw. nicht glaubt: der wundertätige Barfußprophet aus Galiläa, der unter Pontius Pilatus unter ungeklärten Umständen in Jerusalem hingerichtet wurde, und von dem seine Anhänger glaubten, er sei von den Toten auferstanden.

So einfach ist es leider nicht, denn während das Christentum ein Faktum ist, das nach der historischen Existenz seines Auctors geradezu schreit, ist auch Tatsache, daß kein antiker Geschichtsschreiber Jesus kennt, der einwandfrei nur im Evangelium belegt ist (die angeführten «Belege» sind spät und zweifelhaft). Deswegen wird die Existenz selbst Jesu zum Gegenstand des Glaubens, und nicht nur seine Auferstehung und seine Lehre. Das ist das wahre, historische Geheimnis Jesu, daß rationell bis dato nicht zu lösen war.

Wir schlagen einen Wechsel des Schemas vor, und verlassen die Schützengräben, wo sich die beiden verfeindeten Parteien verschanzt halten. Wir nehmen, wie in der Mathematik, einfach an, daß das Problem gelöst sei, und schauen unter welchen Bedingungen es ist. Wenn beide recht haben – daß Jesus Christus historisch hat existieren müssen, damit das Christentum entsteht, daß aber der wundertätige Wanderprediger aus Galiläa nicht existiert haben kann, sonst hätten die alten Historiker es rechtzeitig vermeldet – dann bleibt nur die Möglichkeit, daß Jesus existiert hat, aber woanders, und ist später nach Galiläa umgesiedelt worden.

Es trifft sich, daß 100 Jahre vor dem vermeintlichen Jesus ein anderer Gottmensch, Gaius Julius Caesar, ein Gerechter, auch ermordet und nach dem Tod zu den Göttern erhoben wurde, und daß tatsächlich eine Umsiedlung vorgenommen wurde, nämlich die seiner Veteranen, die, in Gallien rekrutiert im ganzen Reich angesiedelt wurden, mitunter auch in Galiläa, im Gebiet des mit den Römern verbundeten König Herodes.

Da die Lebensgeschichten dieser beiden Gottmenschen, Jesus und Divus Iulius, verblüffende Parallelen aufweisen – welche aufzulisten Gegenstand dieses Buches ist –, drängt sich die Erkenntnis auf, daß es eine und dieselbe Geschichte ist, die im Tradierungs- und Übersetzungsprozeß mutiert und delokalisiert ist. Ahnlich, wie wenn ein heutiger gläubiger Brasilianer Ihnen erzählen wird, daß der Heilige Franziskus nicht in Assisi (Umbrien) geboren ist, sondern in Assis (Rio Grande do Sul), oder daß der Heilige Georg den Drachen in Bahia getötet hat, da er ja aus dieser Stadt sei, so ist der aus Gallia kommende Befreier Corfiniums zu dem aus Galiläa kommenden Teufelsaustreiber von Cafarnaum geworden: Julius Caesar zu Jesus Christus. So wie der Heilige Franziskus von Assisi nach Assis wanderte sobald Europäer sich in Amerika ansiedelten, so wanderte auch damals Divus Julius von Gallia nach Galiläa als die in Gallia rekrutierten Legionäre als Veteranen in Galiläa angesiedelt wurden. Die sprachliche Verschiebung – hier Italienisch und Portugiesich (Assisi > Assis), dort Latein und Griechisch (Gallia > Galilaia; Corfinium > Kapharnaon) – half, den importierten Gott bzw. Heiligen heimisch werden zu lassen. Geschichten wandern ja, und passen sich an, damals wie heute: Das Christkind wird in den Krippen Brasiliens hier zum kleinen Indio dort zum Negerlein – wie die sieben Samurais im amerikanischen Film-Remake zu Cowboys. Wandern geht mit Wandeln einher.

Das dritte, was noch zu wissen ist, und was die Nicht-Leser noch mehr als die Leser beschäftigt, ist wohin die Reise geht: Was sind die Folgen?

Und auch hier kann man beruhigt sein: Die Reise geht nirgendwohin, es gibt keine Folgen – erst einmal. Der Gläubige wird weiterhin an seinen Jesus glauben, und sich sagen, daß es ihm egal sei, wer der historische Jesus gewesen ist, und wenn es Caesar sein muß, hauptsache es gab ihn. Der Ungläubige wird sich freuen, daß endlich bewiesen ist, daß es Jesus nicht gegeben hat, und wird in Kauf nehmen, daß er Caesar war, hauptsache, es gab ihn nicht. Zwar werden beide ihr Bild von Caesar revidieren müssen, aber das wird sie wenig schmerzen, da man es heute ohnehin fast nur noch aus Hollywood oder Asterix hat (und das ist nunmal nicht der historische Caesar). Die von manchen befürchtete oder heraufbeschworene Bombe unter dem Christentum wird nicht zünden – erst einmal.

Längerfristig wird jedoch eine Bewußtseinsveränderung eintreten. Es ist nichts mehr wie früher. Man hört sich die Matthäuspassion anders an, wenn man weiß, daß sie in Wirklichkeit für den göttlichen Caesar gespielt wird. Man erlebt Ostern anders, wenn man weiß, daß man Tod und Auferstehung des historischen Divus Iulius begeht. Man liest das Evangelium anders, wenn man weiß, daß ihre erste Fassung zwar von Gott selbst stammte, der persönlich Geschichte schrieb, die zweite aber von den Menschen, die die Geschichte nach ihrem Verständnis aufschrieben, und die letzte bloß von den Eseln, die zwar treu aber nach ihrem Verstand und Unverstand sie immer wieder abgeschrieben haben. Da kann man sich weder auf die Schrift noch auf den Glauben allein verlassen, da kommt man weder mit sola fide noch mit sola scriptura weiter. Man bekommt auch Distanz zu all den unsäglichen Konzilienstreiten und Glaubensschismen, die die Geschichte vergifteten und die Menschen spalteten, wenn man weiß, daß sie Streitigkeiten unter Eseln waren, die längst nicht mehr wußten, wovon und von wem sie redeten, und daß da blinde Rechtgläubige einäugige Häretiker nacheinander in die Wüste geschickt haben.

Entscheidend wird sich auswirken, wieder und definitiv zu wissen, daß Jesus ein Römer und kein Jude gewesen ist – wie die Juden es allgemein immer behauptet haben, die diesen Mann, der angeblich aus ihrem Volk stammte, nicht gekannt und beharrlich geleugnet haben. Damit ist der Vorwurf des Gottesmordes an die Juden endlich vom Tisch – da Caesar von den «Junii» und nicht von den «Juden» ermordet wurde –, gleichzeitig ist aber auch vom Tisch, daß Jesus aus dem Volke der Juden stamme, was das Verhältnis zu diesen entsakralisieren dürfte, und damit heraushelfen aus der tragischen Klemme, ewige Verfolgung und/oder ewige Wiedergutmachung.

Zu Häretikern abgestempelte Kirchenväter, wie Marcion, der da sagte, der Gott des Neuen Testaments, der Gott der Liebe und der Erlösung, habe nichts mit jenem des Alten, dem Gott der Gerechtigkeit und der Rache, gemeinsam, die Evangelien und die Briefe des Paulus seien von Judaisten gefälscht worden, oder Tatian, der bezeugte, die Genealogie Jesu sei hinzugedichtet worden, um ihn zum Nachkommen Davids zu machen, werden nachträglich rehabilitiert. Der Kaiserkult, der zunehmend als Vorläufer des Christentums angesehen wird, ist mit anderen Augen zu studieren. Vor allem können wir jene verstehen, die sagen, daß die Opposition zwischen Altem und Neuem Bund eine östliche Metapher ist für jene zwischen dem alten Rom des Senats und dem neuen Rom des Caesars, zwischen der alten, gerechten aber ausbeuterischen Ordnung, und der neuen, erlösenden und liebesstiftenden, oder, wie Dichter schon bemerkten, zwischen ROMA und ihrem Spiegelbild AMOR.

Das Verhältnis zur Religion wird sich ändern. Wenn man weiß, daß Religion die Form ist, in der ein Reich seinen Untergang überlebt, kann man Religion dann noch als eine Privatsache ansehen? Wenn die Taufe die Rekrutierung des Legionärs Christi nicht nur symbolisch, sondern auch historisch darstellt, wundert dann der Fundamentalismus, welche Toleranz ist dann noch zu erwarten, außer der Milde des Siegers? Wenn man aber weiß, daß der Kult des Divus Iulius der Ursprung des Christentums darstellt, ist darin das ersehnte Urchristentum zu sehen? Wenn der Islam, möglicherweise auch der Buddhismus (s. Schlußkapitel), nur andere Formen desselben Urkults sind, darf man die Hoffnung hegen, zurück zur historischen Einheit aller Gläubigen zu gelangen? Und wenn man weiß, daß obwohl Gottessohn und selbst Gott, oder vielleicht gerade deswegen, Caesar persönlich an ein Leben nach dem Tod nicht glaubte, können in ihm die Gläubigen und Nicht-Gläubigen sich treffen?

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Diese holländische Ausgabe erscheint, überarbeitet und vermehrt, drei Jahre nach der originalen deutschsprachigen, dank des Engagements von Tommie Hendriks, Experimentalpsychologe, der die Übersetzung sua sponte initiiert hat, und Jan van Friesland, Programmdirektor beim Fernsehen, der für das Bekanntwerden dieser Forschung sorgte, und somit den Weg zum Erscheinen dieses Buches öffnete. Sie leben beide in Utrecht, und dies ist vermutlich kein Zufall. Denn hier in Traiectum, beim alten Rheinübergang, stand einst ein römisches Kastell, auf dessen Areal später die ältesten Kirchen der Stadt und wohl des Landes errichtet wurden: Der Dom St. Martin, exakt an der Stelle, wo das dem Mars geweihten Fahnenheiligtum der hier lagernden Legion, und St. Salvator, die Erlöserkirche, dort wo das Tabernaculum, das Zelt des Feldherrn standen. So erscheint dieses Buch nun am Ort des Geschehens – und hilft es richtig zu deuten, und endlich zu verstehen.

Es gefällt uns, daß in dieser Stadt, die Cartesius (Descartes) Zuflucht bot und seine Bücher à la barbe de l’inquisiteur drucken ließ, nun auch unseres erscheint. Möge der Name der Stadt, Traiectum, das Überquerung, Furt bedeutet, uns ein gutes Omen sein: Das Buch ist vom einen Ufer des Deutschen in das andere des «Dutch» gut über-setzt worden; wir dürfen hoffen, daß es nun auch gut ’rüberkommt.

Wir wünschen dem Leser eine gute Lektüre. Möge sie auch für ihn/sie fruchtbar sein: donum bonae frugi.

Samstag, 13. Juli 2002 (Caesars Geburtstag: 2102º).